Krieg. Geschichten aus der Ukraine

Ukrainer erzählen, wie sie im Krieg leben

«Wir haben definitiv den Krieg nicht verloren und werden ihn auch nicht verlieren“, Kostiantyn Rieutskyi, 47 Jahre alt, Luhansk — Kyjiw

von | 13 März 2022 | Krieg. Geschichten aus der Ukraine, Kyiv, Luhansk

Kostiantyn Rieutskyi ist Mitbegründer der Wohltätigkeitsorganisation „Wostok SOS“. Er gehört zu denjenigen, die sich auf den Krieg tatsächlich vorbereiteten. Der 47-jährige Jurist wohnte bis zum Jahr 2014 in Luhansk. Nach der russischen Okkupation musste er nach Kyjiw umziehen. Schon damals war Konstiantyn sicher, dass Russland noch weitere Aggressionen planen wird, demzufolge musste man sich für den Widerstand wappnen.

Vor zwei Jahren ließ sich Herr Rieutskyi bei der Territorialverteidigung einschreiben. Vorher hatte er niemals ein Gewehr in der Hand gehabt. Jeden Samstag ging Konstiantyn zum Training, und seit dem Beginn des Krieges verteidigt er Kyjiw.

 „Wir leisten Widerstand gegen einen Gegner, der viel mehr Soldaten und Militärtechnik hat. Deshalb brauchen wir die gesamte Gesellschaft, um unseren Staat zu verteidigen“, begründet Kostiantyn seine Entscheidung. Er ist davon überzeugt, dass man das Land um jeden Preis verteidigen muss, um einen perfekten Staat zu kreieren. Deswegen engagierte er sich.

„Wir beschützen unser Zuhause. Und wir haben ein großes Ziel — ein europäisches und demokratisches Land aufzubauen. Dafür haben wir alles, was wir benötigen. Ich denke, dass das Ziel die zu bringenden Opfer wert ist“, glaubt Herr Rieutskyi fest daran.

Um dieses Ziel zu erreichen hat er keine Angst alles zu verlieren, sogar sein Leben. Ihm ist nicht bange, sein Leben neu aufbauen zu müssen, weil er das schon einmal tat.

“Im Jahr 2014 habe ich und noch ca. zwei Millionen Menschen aus der Ostukraine alles verloren. Wir haben unser normales Leben verloren. Das Leben, alles, was wir viele Jahre aufgebaut haben. Materielle und immaterielle Dinge haben wir verloren. Wir mussten wieder bei null anfangen. Aber wir, das Team von „Wostok SOS“ sind sofort aktiv geworden und waren nicht so stark psychisch traumatisiert im Vergleich zu den anderen Menschen aus der Ostukraine. Wir haben unseren Mitbürgern aus dem Osten geholfen. Damit verbrachten wir die ganze Zeit. Somit hatten wir keine Zeit, uns selbst zu bemitleiden. Viele von uns mussten wiederholt eigene Häuser verlassen. Und das Leben vergessen, das wir bis heute 8 Jahre lang aufgebaut haben“.

Die Hilfsorganisation „Wostok SOS“ hilft den Kriegsvertriebenen aus der Ostukraine. Es handelt sich um die Wohnungssuche, humanitäre und psychologische Hilfe. Zur Zeit kümmert sich das Projektteam um die hilfsbedürftigen Ukrainer. Die Tatsache, dass Kostiantyn  im Kampf für die Zukunft der Ukraine nicht alleine ist, fasziniert ihn.

„Trotz all des Verlusts, trotz aller Verletzten und Verstorbenen, unterstützt die Bevölkerung die Arme und hilft sich gegenseitig”, äußert sich der Jurist. “Jetzt ist es noch viel zu früh über den Sieg zu reden, aber wir haben den Krieg sicher nicht verloren und werden ihn auch nicht verlieren.”

“Die Zahl der Opfer kann hoch sein, weil unser Gegner sehr stark ist. Aber wir müssen diesen Weg gehen und dürfen das Gefühl des Zusammenhalts unseres Landes nicht verlieren. Dieses Gefühl ist überall zu spüren. Für uns als Volk ist es wichtig, für unsere Nation und ihre Entwicklung zu kämpfen. Ich denke, wir werden bis zum Ende kämpfen, wir werden gewinnen und wir werden einen idealen Staat aufbauen. Später werden sogar einige europäische Länder uns beneiden“.

Mehr Geschichten