Illustrated by Daryna Borodenko
Rechtsanwältin Jewhenija Sakrewska ist 38 Jahre alt, sie meldete sich bereits im Voraus bei der Territorialen Verteidigung an. Sie wusste, dass sie Kyjiw verteidigen würde, wenn ein ausgewachsener Krieg beginnt. „Ich habe seit Monaten bei der Territorialen Verteidigung trainiert und wusste, wohin ich gehen und was ich tun sollte‟, sagt sie. Und so trug es sich zu, dass als die Russische Invasion in der Ukraine begann, Jewhenija in den Reihen der ukrainischen Streitkräfte erschien, um Kyjiw zu verteidigen.
In den vergangenen sieben Jahren war sie Rechtsanwältin für die Familien der „Himmlischen Hundertschaft‟. Das ist die Bezeichnung für die Menschen, die während der Revolution der Würde 2014 erschossen wurden. Am 24. Februar hätte sie zum Gericht zu einer vorbereitenden Anhörung bezüglich der „Berkut-Mitglieder‟ aus Saporischschja gehen sollen. Außerdem hätte sie noch eine medizinische Untersuchung machen lassen sollen, um einen Waffenschein zu erhalten – ihre Anwaltskanzlei plante ein betriebliches Schießtraining.
Als der russische Angriff begann, bedauerte Jewhenija, dass sie nicht genug getan hatte, um sich vorzubereiten. „Hass war mein erstes Gefühl! Dann habe ich angefangen, so etwas wie eine Bestandsaufnahme von dem zu machen, was bereits erledigt und was noch nicht erledigt wurde. Verdammt, warum habe ich noch keine Funkgeräte und Erste-Hilfe-Sets gekauft?‟, erinnert sie sich.
Mit der zweiten Welle von Explosionen in einem Stadtviertel von Kyjiw, wo Jewhenija lebt, verschwand der Strom. Aber sie wollte trotzdem zum Gericht fahren. Der Staatsanwalt schrieb jedoch, dass es keine Sitzung geben werde. Und dann erschienen Nachrichten im Chat: Neben den Gerichten Desnjianskij und Schewtschenkiwskyj, sagte auch das Gericht Darnytskij alle Sitzungen ab. Dann ging Jewhenija zum Stab der Territorialen Verteidigung.
Seit 2014 nahm sie regelmäßig an Militärübungen und medizinischen Trainings teil, hat auf dem Schießstand geübt und mit der Territorialen Verteidigung trainiert. Sie kann schießen und hat die Fähigkeiten der taktischen Grundmedizin sowie eine gute körperliche Ausbildung.
„Wir trainieren jeden Tag. Ich versuche, das Training nicht zu versäumen, es hält mich fit. Wir werden auf Dienstschichten eingeteilt, wir richten die Positionen und Alltagsleben ein. Wie ich das sehe, ist Krieg zu 80% Logistik. Die Militäreinheit ist aus Sicht des Managements eine Kreuzung zwischen einem Kinderlager und einer öffentlichen Organisation. Eine besondere Trennung nach Geschlecht gibt es hier nicht, die Rollenverteilung ist funktional. Na ja, Frauen werden seltener zu Dienstschichten eingeteilt, sie schonen uns‟, erzählt Jewhenija.
Einige planen Prozesse und Logistik. Wer Kampferfahrung hat oder andere schulen kann, hält Unterricht oder führt Trainings durch. Andere nehmen Kontakt mit Freiwilligen auf und organisieren Mittagessen.
„Meine Stimmung kann man momentan als gesunde Wut definieren. Das ist die Stimmung einer Person, die möglichst an ihrem rechten Ort ist. Maximal „hier und jetzt‟. Ich bin da, wo ich sein sollte. Ich tue, was ich tun sollte. Ich hoffe, es ist sinnvoll.‟
„Die Unterstützung von Verwandten, Freunden, Kollegen, Bekannten und Fremden ist sehr erfreulich. Aus allen Teilen der Ukraine, einschließlich der Krim, aus der ganzen Welt. Sogar aus Weißrussland und aus russischen Gefängnissen. Aus dem fernen Ararat, Tschechien, Norwegen, Polen, den USA… Meine Eltern sind in Sicherheit. Ich bin beruhigt.‟
Sie gibt zu: Ein bisschen ärgerlich sind die ständigen Angebote, sich irgendwo in Sicherheit zu bringen, weil es „jetzt schon notwendig‟ und „jetzt schon echt gefährlich‟ sei. „Wir sind hier gerade aus dem Grund, weil es hier gefährlich ist. Wir müssen die Bedrohung verhindern. Wir müssen Kyjiw verteidigen. Und nicht nur einfach Fotos mit Schusswaffen machen, solange es sicher ist und nicht geschossen wird. Und eigentlich wäre es für das Militär keine Evakuierung mehr, sondern eine Desertion. Wir haben ja den Vertrag unterschrieben und einen Eid abgelegt.‟
Auf die Frage, was sie nach dem Sieg machen wird, antwortet Jewhenija Sakrewska: „Ich plane, in Laspi (einer Bucht an der Krimküste) schwimmen zu gehen. Dann steige ich auf den Tschatyr-Dag und trinke dort Kaffee.‟