Krieg. Geschichten aus der Ukraine

Ukrainer erzählen, wie sie im Krieg leben

„Ich dachte, andere Nationen wären besser als wir. Aber jetzt bin ich stolz, Ukrainer zu sein“, Taras (23, Donezk-Zhytomyr)

von | 3 März 2022 | Donetsk, Krieg. Geschichten aus der Ukraine, Zhytomyr

In einem Tag ist Taras 23. Vor einer Woche begann für ihn der Krieg – zum zweiten Mal in seinem Leben.

2014 war er ein Teenager, ging in Donezk zur Schule, schaute Anime und las Fantasy. Nach dem sogenannten Referendum für die Unabhängigkeit der „Volksrepublik Donezk” und dem Beginn der Kampfhandlungen musste er seine Heimatstadt verlassen.

„Die größte Tragödie des Krieges war es für mich, die Stadt zu verlassen, ohne sich mit ihm zu verabschieden. Ich dachte, dass wir bald nach Donezk zurückkommen“, sagt er. Zuerst sagten die Taras´ Eltern, dass sie vorerst zu ihren Verwandten in die Oblast Winnyzja gehen. Aber die Familie kehrte nach Hause nicht zurück. Schließlich fand sich Taras in Zhytomyr wieder.

Vor einer Woche, am 24. Februar, erwachte er erneut von einer Explosion in einer zuvor ruhigen Stadt, weit entfernt von der Grenze mit Russland. Zuerst dachte er, dass einfach eine Granate in der Nähe gezündet wurde. Und dann griff er zum Handy und begann gewohnheitsmäßig, das Feed zu scrollen. Es stellte sich heraus, dass Putin einen Angriffskrieg begonnen hatte.

„Wahrscheinlich habe ich nicht an die Invasion geglaubt. Als die Russen ihre Truppen bereits an unsere Grenze gebracht hatten, wollten wir alle hoffen, dass es nur eine Einschüchterung war. Es ist kaum zu glauben, dass dein Land wirklich so angegriffen werden kann.”

Am ersten Tag könne der junge Mann überhaupt nichts essen. Er habe alle seine Bekannten angerufen und gefragt, wie es ihnen geht. Er verfiel nicht in die Panik, konnte aber das Zittern und die Spannung in seinem Körper nicht stoppen. Druck und Puls waren sehr hoch.

Zuerst dachte er daran, die Stadt zu verlassen: Verwandte aus Lwiw boten an, zu ihnen zu kommen – und dann vielleicht nach Polen. Schließlich sah er, wie sich die Menschen um ihn herum angesichts der Bedrohung zusammenschlossen. Einige gingen zu territorialen Verteidigungsbataillonen und andere meldeten sich als Freiwillige.

„Das inspiriert. Du verstehst, dass du, selbst wenn du ganz wenig tust und stirbst, als Mensch einer Nation von Helden stirbst.”

Taras ist Mitglied der Liberaldemokratischen Liga der Ukraine, einer Organisation, die Partner in vielen europäischen Ländern hat. Seit Beginn des Krieges regen sie ihre Partner auf, Druck auf deren Regierungen auszuüben, um die härtesten Sanktionen gegen den Angreifer zu verhängen.

Auch in der Stadt hilft der junge Mann mit: er baut Barrikaden, um zu verhindern, dass die Besatzungstruppen über Zhytomyr in die ukrainische Hauptstadt gelangen.

Taras sagt, dass der Krieg alles an seinen Platz gebracht hat. „Ehrlich gesagt mochte ich früher einige andere Nationen. Ich dachte, sie wären besser als wir. Aber jetzt bin ich stolz, Ukrainer zu sein.“

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