In Kyjiw arbeitet Nadija als Beamtin. Am Abend des 23. Februars war sie mit ihrer Familie im Theater am Podil. Sie haben sich eine Bulgakov-Aufführung angeschaut. Sie sei spät nach Hause gekommen, da sie noch viele Sachen in der Stadt zu erledigen hatte, so nach Mitternacht sei sie eingeschlafen. Am 24. Februar wurde sie um 5 Uhr morgens durch die Explosionen geweckt. In der ersten Nacht vom Beginn des Krieges schliefen sie zu Hause. Aber am nächsten Tag wurde das Hochhaus in der Koschytsia Straße (nur zwei Hochhäuser von Nadijas Wohnung entfernt) durch russische Raketenteile getroffen. Danach gingen sie in den Keller einer Schule zum Übernachten. Als in Kyjiw eine Ausgangssperre für eineinhalb Tage ausgerufen wurde, blieben sie im Schulkeller die ganze Zeit.
„Zunächst hatten wir es nicht vor, weg zu fahren, – erzählt Nadiia. – Aber dann schlugen unsere Verwandten vor, nach Lwiw zu kommen. In zwei Stunden waren wir schon reisefertig, weil wir Reiseerfahrung haben. Ich habe das Geld in den Koffer gepackt, und habe den Memorystick mit Familieinfotos eingesteckt“.
Sie haben sich entschieden, mit dem Intercity-Schnellzug zu fahren. Nadiia sagt: “Wenn der Zug anrollte, flog eine Granate oder etwas Ähnliches nah am Fenster vorbei. Die Druckwelle hat den Zug vibrieren lassen, die Passagiere haben schon ihr Leben an sich vorbei ziehen gesehen. Der Intercity-Zug hat 5 Stunden mehr als üblich gebraucht”.
Am Dienstag kamen sie am Morgen in Lemberg Hauptbahnhof an. Nadiia wurde von ihrer Tochter Jelysaweta und ihren älteren Brüdern begleitet. Die Jungs seien 22 Jahre alt und dürfen zur Zeit die Ukraine nicht verlassen, da die Ukrainischen Männer von 18 bis 60 Jahren der Mobilmachung unterliegen.
“Bis jetzt wissen wir nicht, was wir weitermachen sollen. In den letzten 24 Stunden habe ich praktisch nicht geschlafen, ich kann mich nicht zusammenreißen, um die weiteren Entscheidungen zu treffen.“
Im Moment wohnt Nadija mit ihrer Tochter im Les-Kurbas-Theater in Lwiw, das als Zufluchtsort benutzt wird. Ihr Kind freut sich —„ mal in der Schule, mal im Theater — es ist einfach schön“.
„Die Entscheidung Kyjiw zu verlassen war schwierig. Ich kam bis jetzt noch nicht zu mir. Aber ich musste mein Kind in Sicherheit bringen.“
Nadija hat auch ihre Mutter, sie wohnt in Kherson. Zur Zeit ist diese Stadt unter Beschuss von russischen Soldaten. Aber Kherson gibt nicht auf und bleibt unter Ukrainischer Flagge.“Ich hoffe nur, dass meine Mama weit entfernt von dem Krisengebiet ist, und dass sie Zuhause bleibt“, sagt die Frau.