Illustrated by Sophia Tomilenko
Sofija (aus Sicherheitsgründen hat sie gebeten, ihren Familiennamen nicht anzugeben) aus Kyjiw beantwortet einen Anruf in der Arbeit. Sie ist 30 und Familienärztin von Beruf. Wie vor dem Krieg geht sie auch jetzt täglich zur Arbeit und empfängt Patienten. Die gibt es heute wesentlich mehr. Sofija erklärt, dass es durch das Frieren in Kellerräumen und Nervosität bedingt ist. Erkältungen und nervöse Unruhe sind häufiger geworden, man lässt Herzerkrankungen behandeln, manche lassen sich impfen. Es gibt auch deshalb mehr Arbeit, weil viele Ärzte und Pfleger weggefahren sind. Sofija blieb jedoch. Sie wusste schon am 24. Februar, dass sie bleibt, als die ersten Explosionen die Stadt erschütterten. In dem Augenblick verstand Sofija, dass Russland die Ukraine überfallen hatte. Dann machte sie sich für die Arbeit fertig und ging los, um andere Menschen zu behandeln, die auch während des Krieges erkranken können.
Dies ist schon die zweite Begegnung mit dem Krieg für die junge Frau. Die erste war 2014. Die Stadt im Gebiet Donezk, wo Sofija mit ihrer Familie wohnte, brachten Separatisten unter eigene Kontrolle. Die Familie musste damals wegfahren, denn wegen ihrer pro-ukrainischen Ansichten wurden sie von den Nachbarn denunziert. Diesmal hat Sofija nicht vor, Kyjiw zu verlassen. Sie glaubt, man brauche sie hier.
“Wenn alle fliehen, dann bleiben Menschen ohne Hilfe,” überlegt sie ganz ruhig.
“Ich hatte keine Angst, dass ich irgendwohin fliehen muss. Auch 2014, als es im Donbass aktive Kampfhandlungen gab, waren wir zu Hause. Wir haben uns ebenso in den Kellern versteckt und sind dann morgens zur Arbeit gegangen. Freunde fordern uns auf, in die Westukraine oder ins Ausland zu fahren. Sie bieten uns Unterkünfte, aber jetzt braucht man mich hier. Ich bleibe mit meiner Familie in Kyjiw. So ist es für mich emotionell einfacher.”
Sofija hat keine Angst, zur Arbeit begleitet von Schussgeräuschen zu gehen. Viel schwieriger ist es für sie, in den Nachrichten zu sehen, wie russische Soldaten friedliche Einwohner töten, Kinder zu Waisen machen, Städte zerstören.
Die Arbeit lenkt Sofija ab, sie macht, was sie gut machen kann — sie behandelt kranke Menschen. Der Gedanke, dass die Ukrainer auf dem eigenen Boden sind und deshalb siegen werden, ist beruhigend. Außerdem findet man bei den Katzen und Hunden Unterstützung.
Sofija träumt von dem Sieg der Ukraine, davon, dass die Verteidiger lebendig und gesund nach Hause zurückkehren. Darüber hinaus will sie in Urlaub gehen. Sie sagt: “Ich will nirgendwohin fahren. Ich will einfach mit meiner Familie zu Hause sein, mich entspannen. Ich will mich bloß ausschlafen. Ich möchte einmal hören, dass die Ukraine gewonnen hat — dann werde ich mich erholen.”