Krieg. Geschichten aus der Ukraine

Ukrainer erzählen, wie sie im Krieg leben

“Die Russen, wissen es nicht, dass ihre Kinder hier fallen”. Marija, 51, Berdjansk

von | 6 März 2022 | Krieg. Geschichten aus der Ukraine

 

Marija Spirina ist eine 51-jährige Gynäkologin und Geburtshelferin der Berdjansker Entbindungsklinik. Die ersten drei Tage des Krieges verbrachte sie auf ihrem Arbeitsplatz. Sie habe zusammen mit den anderen Ärzten die Schwangeren und jungen Müttern aus Berdjansk und naheliegenden Dörfern aufgenommen.

„Was uns am meisten gestört hat, ist die Weise, auf die Leute zum Geburtshaus kommen, — so Marija. – Viele Leute blieben bis zum letzten Moment zu Hause. Aber am 27.02. hat bei einer Frau die Geburt angefangen, in Landkreis wo es aktiv geschossen wurde (im Dorf Berestowe).

 

 

„Die Rettungswagen hatten Angst, dahin zu fahren“. Die Mediziner haben es jedoch geschafft die Schwangere ins Geburtshaus zu bringen: ein Auto habe sie zum Kontrollpunkt vor der Stadt Berdjansk gefahren, und ein anderer PKW habe sie zur Klinik gebracht.  Die ganzen zwei Stunden wurden benötigt, um diesen 40 Kilometer Weg zu schaffen.

Nach dem Kaiserschnitt, um 04:00 Uhr morgens, habe das 1880 Gramm schwere Mädchen die Welt zum ersten Mal gesehen. Die verängstigte junge Mutter Hanna hat über 1,5 Liter an Blut verloren. Keiner aus ihrer Verwandtschaft konnte aus dem Dorf  in die Stadt fahren, um die nötigen Sachen und Essen für sie zu übergeben.

Der Landkreis ist durch feindliche russische Truppen besetzt, in manchen Dörfern finden die Kämpfe statt. Die medizinischen Angestellten gaben der Frau Essen, das es im Geburtshaus gab. Und haben fürs Baby ein Baby-Box mit den nötigen Sachen gespendet. Nach kurzer Zeit erfuhren die Volontäre von dieser Situation und fingen an, Lebensmittel zu bringen. Anteilnehmende Leute brachten Milch und die Babynahrung vorbei.

 

 

In den ersten zehn Tagen des Krieges seien 18 Jungen und 6 Mädchen im Geburtshaus in Berdjansk zur Welt gekommen. Unter diesen Kindern gibt es Zwillinge, die eine Aussiedlerin aus der Oblast Donezk zur Welt gebracht hat. Zur Zeit haben sie noch Möglichkeiten, die Schwangere aufzunehmen: es gibt genug Oxygen, Medikamente und Lebensmittel, die Apotheke sei auf. Aber was in einer Woche passiert – das wisse keiner.

Während des Luftalarms nehmen die Medizinischen Angestellte die neugeborene Babys und gehen zusammen mit den Frauen in den Keller. Manche Ärzte bleiben bei den Patientinnen nach den schwierigen Operationen in den Hallen zwischen den tragenden Wänden. Einige Mitarbeiter des Geburtshauses können nicht nach Hause ins Dorf fahren, deswegen wohnen sie schon seit ein paar Tagen in der Klinik.

Während des Krieges sei Marija nicht nur die Frauenärztin, sondern auch eine Art Psychologin. Sie führe viele Gespräche mit den Patientinnen, sie versuche sie zu beruhigen und erkläre, wo es am besten sei, sich während der Schüsse und den Bombardierungen zu verstecken. Ständig muss sie telefonisch die Sprechstunden mit den Schwangeren führen und schläft nur 3-4 Stunden am Tag. Der Krieg schockiert Marija.

 

 

Als Charkiw bombardiert wurde, weinte die Frau 4 Tage lang, aber sie musste sich zusammen reißen, um ruhig vor den Patientinnen aufzutreten. Marija empfinde eine große Angst, ihre Liebsten zu verlieren. Die Stadt Wasyliwka, wo ihre Eltern wohnen, ist unter Beschuss der Russen geraten. Seit ein paar Tagen sitzen die alten Leuten ohne Licht und Wasser im Keller, es sei unmöglich, sie von diesem okkupierten Ort zu evakuieren.

„Ich bin in Russland geboren und als Kind bin ich mit meiner Familie in die Ukraine umgezogen, – erinnert sich Marija Spirina. – Meine Nationalität ist Deutsch. Ich hatte die Möglichkeit, nach Russland und Deutschland zu fahren aber ich kann meine Arbeit nicht verlassen und die Leute nicht im Stich lassen. Jetzt sehe ich die Ukraine als mein Land. Und schäme mich so sehr für meine Heimat. Es tut mir leid für die Russen, weil sie es nicht wissen, dass ihre Kinder hier fallen, und sie den Schrecken des Krieges nicht verstehen.

Aber wenn das Ganze zu Ende ist, werden auch Ihnen die Augen geöffnet werden. Wie werden sie danach leben?

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